Dunkerque

Um 800 entstand eine Fischereisiedlung in Flämisch-Flandern, die 960 mit einer Mauer umgeben wurde. Der Name Dunkerka, um 1067 erstmals belegt, heisst Kirche in den Dünen. 1233 errichteten die Bürger das erste Rathaus. Da der Graf von Flandern ein Vasall des französischen Königs war, wurde die Küstenstadt in den Hundertjährigen Krieg zwischen Frankreich und England (1337-1453) verwickelt. Die Burgunder gelangten 1384 in ihren Besitz. 1477 rückten französische Truppen vor, doch nach der Schlacht von Guinegate fiel Duinkerke 1479 an die Habsburger. Bei der Trennung der Vereinigten Niederlanden wurde die katholisch gebliebene Stadt 1581 ein Teil der Spanischen Niederlande. Von 1646 bis 1652 besetzten französische Truppen Dunkerque. Nach der Schlacht in den Dünen während des Englisch-Spanischen Kriegs nahm England 1658 die Hafenstadt in Besitz, um sie 1662 an Frankreich unter Louis XIV. zu verkaufen. Sébastien Le Prestre de Vauban umgab Dunkerque mit starken Festungsmauern. Im 17. und 18. Jahrhundert operierten von hier Korsaren im Ärmelkanal. Während der Französischen Revolution wurde Dunkerque 1793 kurzzeitig in Dune libre umbenannt. Im 19. Jahrhundert entstand der moderne Handelshafen, seit 1838 markiert ein Leuchtturm die Zufahrt vom Meer. Während des Ersten Weltkriegs wurde die Stadt von deutschen Truppen bombardiert und 1918 als Stützpunkt der US-Navy genutzt. Bei der deutschen Frühjahrsoffensive im Mai 1940 wurden französische und britische Truppen in Dunkerque eingekesselt; eine mehrtägige Schlacht anfangs Juni verursachte massive Zerstörungen. Die deutsche Führung erklärte Dünkirchen 1944 zur Atlantikfestung. Erst nach der Kapitulation des Dritten Reichs konnte Dunkerque im Mai 1945 von den Alliierten befreit werden. In der Nachkriegszeit wurde die Stadt wiederaufgebaut und seit 1969 um angrenzende Küstenorte erweitert.

Dunkerque Zentrum
Dunkerque Zentrum, Juli 2021

Im Zentrum von Dunkerque sind nur wenige sehr alte Bauten zu finden. Aber es gibt sie doch, etwa der rund 30 Meter hohe Tour du Leughenaer mit seiner Uhr auf halber Höhe. Der Lügnerturm geht auf den Bau einer neuen Mauer zurück, die der Graf Robert de Bar 1395 erlaubte. Das Fundament stammt aus dem Jahr 1450, doch 1814 wurde er erhöht für die Installation eines Leuchtfeuers. Noch älter ist der Turm Saint-Éloi, der 1233 als Wachturm und zugleich Orientierungshilfe für Seefahrer errichtet wurde. Im 15. Jahrhundert wurde an den Turm eine Kirche angebaut. Doch diese brannte bei der Plünderung durch französische Truppen 1558 nieder, nur der Beffroi blieb erhalten. Die heutige Kirche St.-Éloi wurde ab 1560 im spätgotischen Stil erbaut und ihre Westseite mangels Geld mit einer fensterlosen Mauer verschlossen. Dadurch ergab sich ein Durchgang zwischen Kirche und Beffroi, heute eine kleine Strasse. Bei den Renovierungen 1782 und 1889 erhielt die Westfassade der Kirche einen neugotischen Look. Im Innern des Beffroi befindet sich das lokale Tourismusbüro. Von dort gelangt man mit einem Lift auf den alten Turm, von dem sich ein wunderbarer Rundblick eröffnet – zum Strand einerseits, in die vielen jungen Quartiere der Stadt und bis weit ins Umland anderseits.

Gleich hinter der Kirche und dem Turm Saint-Éloi steht die grosse Statue von Jean Bart (1650-1702), einem berühmten Korsaren. Der erfahrene Schiffsmann stellte sich 1672 auf die Seite des neuen Herrn von Dunkerque Louis XIV. und erhielt von ihm Kaperbriefe. Als patentierter Freibeuter überfiel er englische, holländische und spanische Schiffe im Ärmelkanal. Wieso wird ein Pirat mit einer Statue geehrt? Nicht nur das; in Dunkerque ist heute gar der Hauptplatz nach ihm benannt! Barts Biografie ist abenteuerlich und wendig, doch konnte er im 19. Jahrhundert auch als Nationalheld gedeutet werden. Als Bart 1689 von englischen Truppen festgenommen wurde, floh er mit 20 Matrosen aus Plymouth und ruderte drei Tage lang, bis er in St. Malo landete. 1694 mischte er sich mit seinen Männern in eine Seeschlacht ein und konnte den Holländern ein skandinavisches Schiff entreissen, auf dem sich eine grosse Ladung Getreide für Frankreich befand. Dafür wurde Bart zum Ritter geschlagen und sogar in den Adelsstand erhoben. Seine Expeditionen als Konteradmiral der französischen Flotte waren weniger erfolgreich. Bald nach seinem Tod begann die Legendenbildung und sein Nachleben in Kinderliedern oder Gedichten. Das Denkmal in Dunkerque erinnert seit 1847 an ihn. Eine Netflix-Serie Pirates of the Channel lässt noch auf sich warten.

Das Musée portuaire de Dunkerque präsentiert die über tausendjährige Geschichte des Hafens von Dunkerque. Nach Marseille und Le Havre ist hier der drittgrösste Hafen von Frankreich, der sich über 17 Kilometer entlang der Küste erstreckt. Seit den 1970er-Jahren trugen Docker eine immer grössere Sammlung von Gegenständen zu dieser Erfolgsgeschichte zusammen. 1992 konnte das Hafenmuseum in einem ehemaligen Tabaklager gleich im Quai beim Bassin de Commerce eingerichtet werden. Die Ausstellung geht der Geschichte entlang von der Heringsfischerschiffen über die Seekriege bis zum modernen Handelshafen. Im Obergeschoss befindet sich eine Sammlung von Schiffsmodellen. Eindrücklich sind die drei Schiffe, die im Bassin de Commerce vor dem Museum stationiert sind: das Segelschiff Duchesse Anne, das Feuerschiff Sandettie und die Péniche Guilde. Das Hafenbecken im alten Zentrum der Stadt wird durch sie enorm aufgewertet. Die Schiffe sind die grössere Attraktion für viele Besucher als das zugehörige Museum.

Weltbekannt ist Dunkerque für die Ereignisse im Jahr 1940: Die deutsche Wehrmacht rückte bei ihrem Westfeldzug im Frühjahr 1940 so rasch vor, dass französische und britische Truppen an der Nordsee eingekesselt wurden. Es kam zur Schlacht von Dünkirchen (26.5.-4.6.1940), bei der die Stadt pausenlos bombardiert wurde, während französische Truppen Widerstand leisteten. Parallel dazu gelang es der Royal Navy, rund 85% des britischen Expeditionskorps (BEF) sowie ca. 140’000 französische Kämpfer, total fast 340’000 Mann, mit 1400 verschiedensten Schiffen über den Ärmelkanal zu bringen und damit vor der Kriegsgefangenschaft zu bewahren. Die dramatischen Ereignisse rund um die Schlacht und diese Evaluation sind Gegenstand der Ausstellung im Musée Dunkerque 1940 Operation Dynamo in der Bastion 32. Es handelt sich dabei um die Überreste einer alten Befestigungsanlage zur Meeresseite hin. Die sogenannte Kurtine 32-5 versprüht den Charme eines Bunkers, was hervorragend zur Ausstellung passt. Von der Bastion 32 aus kommandierte der britische Admiral Abrial die Rettungsaktion. Als die Operation erfolgreich abgeschlossen war, nahmen die Deutschen die Bastion ein und funktionierten sie zum Militärkrankenhaus um. Die Ausstellung über Dunkerque 1940 wurde erstmals 1969 präsentiert, geriet länger in Vergessenheit, bevor sie 2000 am heutigen Standort definitiv eingerichtet wurde. Auf rund 700 m2 sind ein Geschützturm, eine Kanone, ein Motorrad, Flugzeugmotoren, Waffen, Uniformen und sehr viele Fotos und ein Archivfilm ausgestellt, die ein Eintauchen in die dunkelsten Momente der Stadtgeschichte erlauben. Das Mémorial du souvenir ist eine sehr eindrückliche Gedenkstätte, sehr empfehlenswert.

Gleich hinter der Bastion beginnt der lange Strand von Malo-les-Bains. Der weisse Sand zog ab dem 19. Jahrhundert Badegäste aus aller Welt an und für sie wurden hohe Hotels mit möglichst vielen Zimmern zum Meer errichtet – ein typischer Badeort am Ärmelkanal. Nur ein grosses Denkmal der Alliierten in der Nähe der Bastion 32 erinnert daran, dass Malo Beach einst die Kulisse war für die grösste Rettungsaktion der Weltgeschichte. Die Sonne brennt an diesem heissen Julitag. Nur mit viel Mühe kann ich mir am Ort des Geschehens alles Gelesene und Gesehene ins Kopfkino laden, mir vorstellen, wie dramatisch die Situation gewesen sein muss. Umso wichtiger sind Gedenkfeiern und didaktische Aktivitäten, um den kommenden Generationen vom Sommer 1940 zu berichten.

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